Neue Vorzeichen, gleicher Hunger

Der immensen Erwartungshaltung nach zu urteilen war Kendrick Lamars vierte LP eigentlich zum Scheitern verurteilt. Doch auch auf DAMN. bekommt die makellose Bilanz des Rappers keine Kratzer ab.

cddamn
Kendrick Lamar – DAMN. (TDE/Interscope 2017)

Seit er sich auf seiner selbstbetitelten EP vor nunmehr acht Jahren von dem Alter Ego „K.Dot“ verabschiedete, hat Kendrick Lamar eines nie: enttäuscht. Das Mixtape O(verly) D(edicated) zeigte 2010 eindrucksvoll, welch großes Potenzial in diesem jungen MC aus Compton steckt. Mit Section.80 folgte darauf ein Album, das all diese Hoffnungen voll und ganz einlöste.

Doch da fing Lamar gerade erst an: Sein unter Mitarbeit Dr. Dres entstandenes Major-Debüt Good Kid, M.A.A.D. City setzte 2012 konzeptionelle und musikalische Maßstäbe, dank der der Platte schon nach kürzester Zeit von überall her der Klassiker-Stempel aufgedrückt wurde. Und als wäre das noch nicht genug gewesen, legte er 2015 auch noch ein Album nach, das soundtechnisch eine völlig neue Richtung einschlug und ihn endgültig zum Liebling gefühlt aller Feuilleton-Redaktionen dieser Welt machte (To Pimp a Butterfly).

Der immensen Erwartungshaltung nach zu urteilen, die sich der Rapper durch seine durch die Bank großartigen Vorgängerprojekte selbst aufgeschultert hatte, war Kendrick Lamars vierte LP eigentlich zum Scheitern verurteilt. Aber ein Kendrick Lamar ist allem Anschein nach einfach nicht dazu in der Lage, ein halbgares Album abzuliefern.

DAMN. ist kein lauwarmer Aufguss des vielgelobten Soundentwurfs von To Pimp a Butterfly. An vielen Stellen wirkt das Album sogar eher wie eine Rückbesinnung auf die Zeit, als Kendrick noch ausschließlich über die größtenteils samplebasierten Soundgerüste seiner In-House-Produzenten rappte. Zwar finden sich auch diesmal wieder Thundercat und Terrace Martin in den Credits neben Sounwave und Co. wieder, hinzu kommt aber etwa der Name eines vielgebuchten Hitproduzenten wie Mike WiLL Made-It. Auch Boom-Bap-Koryphäen wie The Alchemist und 9th Wonder tauchen darin auf.

Erstgenannter lieferte nicht nur das Soundgerüst für die Vorab-Single „HUMBLE.“ und die so gar nicht nach dem üblichen Sound der Feature-Gäste klingende U2-Kollabo „XXX.“, sondern sorgt zusammen mit dem Protagonisten auch für das erste große Ausrufezeichen der Platte: „DNA.“ ist Kendrick Lamars musikalische Antwort auf Missrepräsentationen seiner Aussageabsichten auf FOX News. Auszüge aus einer Sendung des berüchtigten konservativen US-Senders kommen schon im Intro zu Tage, auf dem zweiten Song werden sie dann ausgiebig und hungrig zerpflückt.  „Tell me somethin / You mothafuckas can’t tell me nothin‘ / I’d rather die than to listen to you“, rappt Kendrick im dritten Verse, während ein ausladendes Rick-James-Vocal-Sample im Hintergrund beinahe gegen ihn anzuschreien beginnt.

In lyrischer Hinsicht ist DAMN. ein über weite Strecken introspektiv gehaltenes Album, das aber gewohntermaßen nie den Blick für das große Ganze verliert. Trotz oder gerade wegen des einschlagendes Erfolgs der letzten Jahre, hat sich bei Kendrick Lamar nämlich in einer Hinsicht wenig geändert: Wie schon auf seiner Debüt-EP 2009, sucht er noch immer nach Gott. Er ist bei all dem berechtigten Selbstbewusstsein noch immer von Zweifeln und Ängsten zerfressen. Der siebeneinhalbminütige Track „FEAR.“ kann gewissermaßen als die Manifestation dessen gelten. Auf einem wunderschön smoothen Alchemist-Beat erinnert sich Kendrick hier drei Verse lang an all die Ängste, die sein Leben begleiteten – als 7-Jähriger, als 17-Jähriger und schließlich als 27-Jähriger.

In „DUCKWORTH.“, dem 9th Wonder-produzierten finalen Song der Platte, erzählt Kendrick die eindrückliche Geschichte eines früheren Aufeinandertreffens seines Vaters mit seinem heutigen Labelboss Anthony „Top Dawg“ Tiffith. Letzterer, damals als Gangmitglied auf schnellen Profit aus, hätte ersteren demnach beinahe einmal erschossen und damit völlig veränderte Vorzeichen für Kendricks eigene Lebensgeschichte geschaffen: „Because if Anthony killed Ducky / Top Dawg could be servin‘ life / While I grew up without a father and die in a gunfight“.

Nach diesen Zeilen ertönt ein Pistolenschuss. Das Album läuft kurzzeitig rückwärts, bevor Kendrick die ersten Momente des Albums wieder aufgreift und zu einem erneuten Hören der Platte einlädt – unter veränderten Vorzeichen.

On Repeat: „DNA.“, „FEAR.“, „DUCKWORTH.“

2 Gedanken zu “Neue Vorzeichen, gleicher Hunger

Hinterlasse einen Kommentar