Von Jahrhundertspielen und Taktikfüchsen

Fußballbücher haben Konjunktur – nicht nur, aber vor allem in einem WM-Jahr wie 2018. Hier sind, pünktlich zur neuen Bundesligasaison, fünf Neuerscheinungen der letzten Jahre, die einen Platz im Regal jedes Fußballliebhabers verdienen.

Seit gestern Abend rollt endlich wieder der Ball in der Fußball-Bundesliga. Zuvor galt es jedoch, irgendwie die Sommerpause zu überbrücken. Getan habe ich das in diesem Jahr unter anderem mit Fußballbüchern. Hier die fünf, die mich am meisten begeistert haben:

„Die 100 besten Spiele aller Zeiten“ von Tim Jürgens und Philipp Köster

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(erweiterte, aktualisierte Ausgabe erschienen 2018 bei Heyne)

19. März 1986, Europapokal-Viertelfinale, Grotenburg-Kampfbahn in Krefeld: Als sich Wolfgang Funkel in der 58. Minute zum Elfmeterpunkt begibt, liegt der FC Bayer 05 Uerdingen gegen Dynamo Dresden mit 1:3 im Rückstand. Eigentlich hatte sich das Team zur Halbzeit bereits aufgegeben, wollte sich nur noch würdevoll aus dem Wettbewerb verabschieden.

Dann verwandelt Funkel den Strafstoß zum Anschluss. Was folgt, kann selbst manch Beteiligter bis heute kaum glauben: Uerdingen legt ganze fünf Tore in unter 30 Minuten nach. Das Spiel endet 7:3. Das Team von Trainer Karl-Heinz Feldkamp zieht ins Halbfinale des Wettbewerbs ein, Dynamo ist raus.

Abende wie dieser sind das, was die Faszination dieses Sports ausmacht. Die beiden Chefredakteure des Fußball-Magazins 11 Freunde haben 100 davon in einem Band versammelt. Das eben nacherzählte „Wunder von Uerdingen“ steht dabei an erster Stelle.

Pünktlich zur WM erschien in diesem Jahr eine erweiterte, aktualisierte Ausgabe. Neu dabei ist unter anderem das deutsche WM-Halbfinale gegen Brasilien, das als deutlichstes Ergebnis einer WM-KO-Runde in die Geschichte einging. Mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden.


„Das beste Spiel aller Zeiten“ von Markus Büsges, Oliver Gehrs und Fons Hickmann (Hg.)

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(erschienen 2014 bei Kein & Aber)

Für Tim Jürgens und Philipp Köster mag das ost-westdeutsche Europapokal-Viertelfinale von 1986 das beste Fußballspiel aller Zeiten sein. Die Herausgeber dieses schmucken Din-A5-Bandes gehen einen anderen Weg: Ein Mosaik aus legendären Spielminuten, aus unvergessenen und kaum mehr erinnerten Momenten der Fußballgeschichte soll es sein; ein Potpourri aus Toren, Anekdoten und Kuriositäten aus aller (Fußball-)Welt.

In seiner Ursprungsform erschien Das beste Spiel aller Zeiten schon 2006 als zehnte Ausgabe des Kulturmagazins DUMMY. Zur Fußball-WM 2014 wurden die Texte dann erneuert, überarbeitet und ergänzt.

Das Ergebnis ist ein schön aufgemachtes Nachschlagewerk, das sich dank seines originellen Konzepts genauso gut auch als Fließtext interpretieren ließe: Das obere Drittel der Buchseiten bestimmt eine kontinuierliche Abfolge von Farb- und Schwarz-Weiß-Bildern, darunter reihen die Autoren Anekdote an Anekdote. Eine Spielminute folgt der nächsten, Seitenzahlen gibt es nicht. Auf diese Weise vereint dieses „beste Spiel aller Zeiten“ viele der 100 Partien aus der 11 Freunde-Rangliste in nur 90 Minuten plus Nachspielzeit – ergänzt um allerhand Infames und Kurioses.


„Vom Libero zur Doppelsechs“ von Tobias Escher

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(erschienen 2016 bei Rowohlt)

Das Thema Taktik war in der öffentlichen Wahrnehmung lange Zeit unerwünscht, blieb Nerds und Berufsoptimisten vorbehalten, die selbst den langweiligsten Partien etwas Interessantes abgewinnen wollten.

In den letzten Jahren hat sich das gewandelt: Inzwischen kommt kaum mehr eine Fußballübertragung ohne detailverliebte Analysen aus – und wenn Deutschland verfrüht aus einem Turnier ausscheidet, dann ist im Zweifelsfall nicht die Einstellung einzelner Spieler, sondern Joachim Löws Taktik schuld.

In Vom Libero zur Doppelsechs erzählt Tobias Escher, Journalist und Mitbegründer des Fußballanalyse-Portals Spielverlagerung.de, die Geschichte der Fußballtaktik in Deutschland nach. Dabei ist der Titel des Buches allerdings etwas irreführend, denn von einer stringenten Entwicklung, in der moderne Entwicklungen konsequent veraltete Philosophien ablösen, kann überhaupt nicht die Rede sein. Wer etwa hätte gedacht, dass schon Sepp Herberger seinen Ziehsohn Fritz Walter einst als „falsche Neun“ aufstellen wollte?


Spieltage – Die andere Geschichte der Bundesliga“ von Ronald Reng

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(erschienen 2013 bei Piper)

Wie unzählige andere Rückblickbände auch, erschien Spieltage 2013 anlässlich des 50. Jubiläums der Fußball-Bundesliga. Was dieses Buch besonders macht, ist seine Perspektive: Der Protagonist dieser „anderen Geschichte der Bundesliga“ heißt nicht Beckenbauer, Ballack oder Lattek, sondern Heinz Höher.

Als fußballbegeisterte Randfigur begleitete besagter Heinz Höher die Bundesliga seit ihren Anfangsjahren, war jahrelang Spieler, dann wahlweise Trainer, Talentscout oder Sportdirektor. Anhand dieses reichhaltigen Erinnerungsschatzes entfaltet Ronald Reng ein detailverliebtes Porträt nicht nur des deutschen Fußballs, sondern auch der deutschen Gesellschaft von den 1960er Jahren bis in die Gegenwart.


„Der vierte Stern – Wie sich der deutsche Fußball neu erfand“ von Raphael Honigstein

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(erschienen 2016 bei Ullstein)

Seit den desaströsen Auftritten der Nationalmannschaft in Russland liest man nahezu ausschließlich Abgesänge auf den deutschen Fußball. Die Kritik an Bundestrainer Jogi Löw und sein Team ist (verständlicherweise) groß.

Dabei wird allerdings oft vergessen, dass auch die großen Erfolge der vorausgegangenen Jahre nicht vom Himmel gefallen sind: Noch 2004 war das DFB-Team vor allem für seine eigenwillige Interpretation des Sports als „Rumpelfußball“ bekannt. Bis zum Weltmeistertitel 2014 war es ein langer und harter Weg.

Als Raphael Honigstein Der vierte Stern veröffentlichte, war der tiefe Fall nach dem größtmöglichen Triumph noch nicht abzusehen. Seine Nacherzählung der Neuerfindung des deutschen Volkssports versprüht noch allergrößten Optimismus – und erscheint in den aktuellen Krisenzeiten deswegen umso mehr lesenswert.


Weitere Empfehlungen der genannten Autoren:

  • Bereits in seinem Debütwerk von 2002 bewies Ronald Reng sein Gespür für die etwas abseitigeren Heldengeschichten des Fußballs: Der Traumhüter (KiWi 2002) erzählt die wahre Geschichte des Torhüters Lars Leese, der sich aus dem deutschen Amateurbereich heraus seine persönliche Glanzstunde in der englischen Premier League erarbeitet und wenige Jahre später wieder in die Anonymität der unteren deutschen Spielklassen zurückkehrt. Seinerzeit wurde das Buch unter anderem zum besten Sportbuch des Jahres in Großbritannien gekürt.
  • Wer Vom Libero zur Doppelsechs mag, wird sehr wahrscheinlich auch Gefallen an Tobias Eschers Nachfolgewerk finden. Auf rund 250 Seiten setzt sich Die Zeit der Strategen (Rowohlt 2018) mit den Taktiken, Strategien und Philosophien einiger ausgewählter Fußballtrainer auseinander, die den Sport in den vergangenen 15 Jahren maßgeblich geprägt haben.
  • Auch in Raphael Honigsteins Portfolio findet sich nicht nur ein einziges empfehlenswertes Fußballbuch: Seine im letzten Jahr erschienene Jürgen-Klopp-Biographie Ich mag, wenn’s kracht (Ullstein 2017), eigentlich vor allem für den englischen Markt gedacht, ist in jedem Fall einen Blick wert.

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