Der zahnlose Prediger

J. Coles fünftes Studioalbum kommt daher wie eine Handreichung zur richtigen Lebensführung. Doch leider wird schnell offenkundig, dass sein Urheber gar nichts Substanzielles zu sagen hat.

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J. Cole – KOD (Dreamville 2018)

Man kann J. Cole manches vorwerfen, doch eine Knappheit an künstlerischen Ambitionen gehört sicherlich nicht dazu. Genauso wie eine Ermangelung guter Absichten.

Auf seinem fünften Studioalbum versucht sich der Rapper ein weiteres Mal an einem ehrsüchtigen Konzeptalbum. Nach dem weitgehend als Fehlzündung interpretierten 4 Your Eyez Only diesmal allerdings in Verbindung mit einer klaren und unmissverständlichen Message.

Um Missinterpretationen von vornherein auszuschließen, stellt Cole auf dem Albumcover sogar noch einmal explizit klar: „Dieses Album zielt in keiner Weise darauf ab, Sucht zu glorifizieren.“ Schon bevor überhaupt ein einziger Ton erklungen ist, ist also klar, wohin die Reise gehen soll.

Dämonentöten statt Überdosis

„Life can bring much pain“, verkündet eine Frauenstimme im jazzangehauchten Albumintro. „There are many ways to deal with this pain. Choose wisely.“ Dieses eingängige Mantra, das in den Folgetracks immer wieder auftaucht, gibt bereits den Ton des gesamten Albums vor.

Das Akronym KOD stehe wahlweise für „Kids on Drugs“, „King Overdosed“ oder „Kill Our Demons“, klärt J. Cole dankbarerweise auf Twitter auf. In ihrer Implikation haben alle drei Varianten eines gemeinsam: Sie haben etwas zu tun mit inneren Dämonen, mit unvermeidlichen Kämpfen und Konflikten, die jeder Einzelne in seinem Leben mit sich selbst auszutragen hat – und mit dem Rest der Gesellschaft. An dieser Stelle kommt ein allzu verlockender Scheinausweg aus diesem Dilemma ins Spiel, der letztlich jedoch – das ist die eigentliche Kernaussage von KOD – schnurstracks in eine weitere Sackgasse führt: Die Flucht in die bigotten Arme weltlicher Gelüste. Ein folgenschweres Trugbild. Drogenrausch gegen klarer Kopf, Groupie-Sex gegen große Liebe, Konsumobsession gegen Selbstverwirklichung, Verdrängung gegen meditative Erleuchtung: „Choose wisely.“

Wie sich am Beispiel der Liebe zeigt, der, wie es am Ende des zweiten Songs heißt, „stärksten Droge von allen“, alterniert J. Coles Blickwinkel dabei stets zwischen Selbstbild, Bekanntenkreisintervention und Gesellschaftskritik. So bedauert er etwa einerseits das Dahinschwinden zwischenmenschlicher Mittelbarkeit in Zeiten sozialer Netzwerke („Photograph“) und nimmt andererseits den Medientrubel um die Untreue des Comedians Kevin Hart zum Anlass, über das eigene Fehlverhalten zu reflektieren („Kevin’s Heart“). Was folgt, ist einmal mehr die Erkenntnis, dass jeder noch so bemüht verdrängte Konflikt doch immer wieder zurück an die Oberfläche drängt. „What’s done in the dark will always find a way to shine.“

Soundtechnisch bringt KOD das Beste der letzten beiden Cole-Projekte zusammen. Soulige Basslines und jazzige Piano-Loops wechseln sich mit spärlich arrangierten 808-Klängen ab. Auf diese Weise entsteht auf Albumlänge ein so organischer wie abwechslungsreicher Klangteppich – für dessen Bärenanteil sich wieder mal J. Cole selbst verantwortlich zeigt. Nur bei zwei Tracks tauchen Co-Produzenten wie Childish Major und der bereits an 4 Your Eyez Only beteiligte Blvk neben Cole in den Credits auf, einen Beat steuerte der Hit-erfahrene Kanadier T-Minus bei.

Wie auf den beiden vorausgegangenen Alben auch, verzichtet J. Cole zudem wieder gänzlich auf Gastbeiträge anderer Künstler. „Niggas ain’t worthy to be on my shit“, heißt es dazu trocken im Titeltrack. Als kiLL edward tritt er dafür diesmal aber gewissermaßen selbst als sein eigener Featuregast auf. Was das Alter Ego vom Erzähler des restlichen Albums unterscheidet, ist zum einen eine heruntergepitchte Stimme und zum anderen eine deutlich pessimistischere Weltsicht. Vielleicht repräsentiert es J. Coles andere Seite, die Dämonen des Predigers, der bei allen Fingerzeigen auch selbst nicht von dem gefreit ist, was er in seinen tiefsten Überzeugungen als falsch erkennt.

Fremdscham oder Erleuchtung?

Eines der Highlights des Albums ist die sehr persönliche Interlude „Once an Addict“. Eindrücklich schildert J. Cole hier die Alkoholprobleme seiner Mutter. Vor der dunklen Wolke, die durch die Probleme dieser wichtigen Bezugsperson auch über dem Leben des Sohnes aufzog, war er seinerzeit lieber nach New York geflüchtet, statt die Mutter zurück auf den richtigen Weg zu leiten. Eine Entscheidung, die Cole in der Retrospektive offensichtlich bereut. Er erzählt, wie ihn seine Mutter eines Nachts völlig betrunken und aufgelöst aus der Heimat anrief – womit auch diese Verdrängungsblase endgültig platzte.

Doch dann reißt den Hörer eine Zeile aus der Narrative, die deplatzierter kaum sein könnte: Obwohl angesichts ihres alkoholisierten Zustands am anderen Ende der Leitung verärgert, so sei er doch „all ears like Basset Hounds“ gewesen, rappt Cole da ernsthaft. Und wer gehofft hatte, dass der Rapper aus ähnlich gelagerten Fehlgriffen in der Vergangenheit gelernt hätte, weiß spätestens jetzt, dass J. Cole seine Leidenschaft für erzwungene Vergleiche noch immer nicht abgelegt und an Fingerspitzengefühl nichts hinzugewonnen hat.

Es sind kurze Momente wie dieser, die sich letztlich als symptomatisch für KOD im Gesamten erweisen; und dafür Rechnung tragen, dass das Projekt J. Coles Ambitionen zu keinem Zeitpunkt so wirklich gerecht wird. Dafür erinnern einfach deutlich zu viele der Lebensweisheiten, die Cole hier auf seine Hörerschaft loslässt, an hanebüchene Abreißkalendersprüche. Es sind gerade Plattitüden wie „Zeit heilt alle Wunden“ und „Man erntet, was man säht“, die der angestrebten Erleuchtung auf KOD im Weg stehen. Substanz sucht man an diesen Stellen leider oftmals vergeblich.

Manche intertextuelle Verknüpfung wirkt zudem einfach ein wenig zu offenkundig herbeikonstruiert. Auf „BRACKETS“ etwa entwirft Cole mal eben ein alternatives Modell der Steuerverteilung: Wenn er schon so viele Steuern zahlen müsse, warum könne er dann nicht wenigstens über eine Smartphone-App selbst die Projekte auswählen, an die er seine Zwangsabgaben gerne verteilen würde. Nur will dieses Gejammer über Coles Spitzenverdiener-Steuersatz leider so gar nicht in das restliche Konstrukt des Albums passen. Da hilft es auch wenig, dass „BRACKETS“ zumindest in musikalischer Hinsicht zu den Höhepunkten des Albums zählt.

Um, so scheint es, seine einstigen Versäumnisse im Umgang mit der eigenen Mutter wiedergutzumachen, startet Cole auf „FRIENDS“ dann mal eben eine Intervention. Und das ist diesmal tatsächlich höchstwörtlich gemeint: Er möchte Menschen aus seinem näheren Umfeld zurück auf den richtigen Weg führen – und auf sichere Distanz bringen zu all den abträglichen Suchterscheinungen, die er gerade zehn Songs lang beschrieben hat. Mehrere Personen werden in den Zeilen direkt angesprochen, ihre Namen sind jedoch nur rückwarts zu hören.

Doch was Cole seinen suchtgeplagten Bekannten dann als Alternative zur Flucht in den Drogen- und Konsumrausch vorschlägt, mutet leider allzu absurd an: Wie wäre es einmal mit Meditation? „Meditate, don’t medicate.“ Wenn das alles doch nur wirklich so einfach wäre.

Die Chance zu wachsen

„You gotta give a boy a chance to grow some
Everybody talkin‘ like they know something these days
Niggas actin‘ woke, but the broke, umm“

– 1985 (Intro to „The Fall Off“)

So hart es auch klingen mag: Was J. Cole hier in Bezug auf jüngere Rapper sagt, die sich auf austauschbaren Trap-Beats mit der eigenen Cloud zunebeln, ließe sich genauso gut auch auf ihn selbst anwenden.

In soundtechnischer Hinsicht ist KOD vermutlich sein bisher rundestes Projekt, ja. Seine Produktionen hat Cole auf diesem Album perfektioniert. Hier sitzt jede Hi-Hat exakt da, wo sie sein soll, ist jeder Synthie-Ton genau an der richtigen Stelle, der Sound ausgefeilt, abwechslungsreich und doch minimalistisch und eigen.

Doch an anderer Stelle sind da eben noch einige Kinderkrankheiten. Und die wollen dem selbstauferlegten Image des weisen Vaters ganz einfach nicht wirklich gerecht werden. Die aufgezählten Plattitüden und lyrischen Fehltritte machen nicht den Großteil des Albums aus, doch sie sind störend genug, um das Gesamtbild entscheidend zu trüben.

Denn wenn die Stimme des auf KOD omnipräsenten Predigers an Ausdrucksstärke verliert, dann fällt leider auch das Konzept dieses Albums in sich zusammen – oder erlöscht zumindest seine erhoffte Strahlkraft.

Aber auch ein J. Cole ist schließlich noch immer am Wachsen.

On Repeat:BRACKETS“, „Once an Addict (Interlude)“

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